Lage der Patienten und spezielle Therapie
Das Fibromyalgie-Syndrom ist eine chronisch entzündliche Multisystem-Erkrankung, bei der vor allem die Schmerzsymptomatik in mehreren Körperregionen im Vordergrund steht. Auch die Symptome Schlafstörungen und eine Erschöpfung wie beim Chronique Fatigue Syndrom (CFS) gehören dazu.
Die chronischen Schmerzen betreffen vor allem Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke in unterschiedlichen Körperbereichen. Diese Schmerzstellen können sich auch verlagern und ständig wechseln, oft unvorhersehbar. Chrarakteristisch sind sogenannte Tender Points, Stellen die sehr schmerzempfindlich auf Druck reagieren, meist an Sehnenansätzen.
Die Liste der möglichen Begleitsymptome zeigt die Nähe zu anderen Chronischen Multisystem-Erkrankungen (CME), berichtet wird u.a. von:
- Muskelverspannungen und -krämpfe, gestörte Motorik
- Geringe Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, extrem lange Regenerationsphase
- Reizdarmsyndrom, Gastrointestinale Beschwerden
- Kognitive Störungen, Reizüberempfindlichkeit
- Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Chemikalien, Nahrungsmitteln u.v.m.
- Herzbeschwerden, Durchblutungsstörungen, Ödeme
- Psychische Symptome wie Depressionen
Es gilt: Viele FMS-Patienten haben auch CFS- und/oder MCS-Symptome und umgekehrt.
Im Internationalen ICD-10-Katalog wird FMS unter der Ziffer M.79.7 im Kapitel „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“ geführt.
Wie bei den anderen CME gibt es keinen speziellen Marker für FMS.
Eine klinische Diagnose soll sich laut der aktuellen Leitlinie entweder an den Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) von 1990 oder an den modifizierten Kriterien des ACR von 2010 orientieren. Dazu gehören eine ausführliche Anamnese, das Herausarbeiten eines Symptomkomplexes, eines klinische Untersuchung sowie der Ausschluss anderer, ähnlich gelagerter, körperlicher Erkrankungen. Hier ist vor allem die rheumatoide Arthritis zu nennen (wobei es jeweils eine Komorbidität auf beiden Seiten gibt).
Bei den Kriterien von 1990 spielen die sog. Tender Points eine wichtige Rolle, während die modifizierten Kriterien auch die Symptome außerhalb des Schmerzbereiches mit einbeziehen.
Sowohl die aktuelle Leitlinie als auch die zugehörige Patientenleitlinie findet man hier:
(Gegenüberstellung der ACR-Kriterien 1990/2010 s. Tab. S. 24, Baislabor S. 17/18, Patientenfragebogen S. 25 ff)
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/145-004
Eine Forschergruppe der Neurologischen Klinik des Würzburger Universitäts-Klinikums konnte 2013 mit Hilfe von Stanzbiopsien zeigen, dass sogenannte „small fibers“, kleine, schmerzleitende Nervenfasern in der Haut, bei FMS-Patienten geschädigt sind. Dieses Phänomen ist bei FMS-Erkrankten oft anzutreffen, findet sich aber auch bei anderen Schmerzerkrankungen.
Auf einen entzündlichen Hintergrund weist eine häufige Erhöhung der Substanz P hin. Dieses Neuropeptid führt zu einer stärkeren Schmerzweiterleitung an das Zentralnervensystem. Gleichzeitig fördert es die Bildung proentzündlicher Zytokine, darunter auch solche, die die Schmerzempfindlichkeit erhöhen.
Allgemein sind bestimmte Zytokine bei FMS i.d.R. erhöht, es gehört daher, wie die anderen CME zu den chronisch entzündlichen Erkrankungen, auch wenn die klassischen Entzündungsparameter unauffällig sind.
Martin Pall schreibt in seinen Ausführungen zu CME von Studien, die eine Beteiligung aller Komponenten des sogenannten Peroxynitrit-(PON)-Zyklus (s. Kap. Multisytem-Erkrankungen) an der Entstehung einer übermäßigen Schmerzempfindlichkeit aufzeigen. Ein heraufregulierter PON-Zyklus und der daraus entstehende nitrosative Stress kann demnach zu chronischen Schmerzen wie beim FMS führen.
Nitrosativer Stress schädigt auch die Mitochondrien. Eine mitochondriale Dysfunktion wurde schon in speziellen Untersuchungen von FMS-Erkrankten festgestellt. Geschädigte Mitochondrien wiederum bilden große Mengen an reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS, oxidativer Stress). Diese Verbindungen treiben indirekt den PON-Zyklus weiter an, was einer Chronifizierung Vorschub leistet.
Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen entzündlicher Stoffwechsellage und der möglichen Ausprägung von Depressionen und Schlafstörungen.
Bestimmte Entzündungsbotenstoffe hemmen die Serotonin-Synthese (Serotonin ist das sog. „Wohlfühlhormon“). Der entstehende Serotonin-Mangel bedingt depressive Störungen.
Da Serotonin gleichzeitig Vorläufer des Schlafhormons Melatonin ist, führt eine Blockade des Synthesewegs auch zu Schlafstörungen.
(Einzelheiten dazu s. z.B. hier: https://www.imd-berlin.de/fachinformationen/diagnostikinformationen/indolamin-23-dioxygenase-regulator-des-tryptophan-kynurenin-serotonin-haushaltes)
Darüber hinaus können alle für CME bekannten Faktoren, wie z.B. eine instabile Halswirbelsäule, Infektionen oder eine Schadstoffbelastung sowohl als Ursache als auch als Verstärkungsfunktion für eine Ausprägung und Chronifizierung des Krankheitsgeschehens eine Rolle spielen.
Lage der Patienten und spezielle Therapie
Über Jahre und Jahrzehnte wurden (und werden zum Teil noch) viele FMS-Patienten nicht ernst genommen und ihre Beschwerden psychologisiert. Das Behandlungsangebot bestand aus Psychotherapie und physiotherapeutischen Maßnahmen, eine Heilung wurde damit kaum erreicht. Verordnet wurden und werden Antirheumatika, Schmerzmittel und Psychopharmaka.
Immer noch stufen einige Ärzte und medizinische Fachrichtungen die Krankheit als psychiatrisch bzw. psychosomatisch ein.
Die derzeit gültige Leitlinie (in der Patientenversion) stellt klar, dass dies eine falsche, pauschale, Annahme ist:
„Richtig ist, dass bei FMS-Patienten häufig auch seelische Störungen vorliegen“.
Das dürfte auch auf eine Vielzahl von anderen körperlichen Erkrankungen zutreffen.
Auf den Zusammenhang zwischen einer entzündlichen Stoffwechsellage und der Ausprägung einer Depression wurde schon hingewiesen (s.o.).
Klassischerweise wurden und werden Therapien wie z.B.
- Akupunktur/Akupressur
- Bewegung/Heilgymnastik
- Entspannungstechniken
- Homöopathie
- Kälte/Wärme
- Lymphdrainagen
- Magnetfeldtherapie
- Massagen
- Physikalische Therapie
- Stressbewältigung
- Thermalkuren
angewandt. Dabei ist es individuell sehr unterschiedlich, welche Therapie sich positiv auswirkt, manche können auch einen negativen Effekt hervorrufen oder nur ganz moderat ausgeführt werden.
Wie bei den anderen CME könnte ein Einkreisen und Behandeln (prä-)entzündlicher Faktoren eher an den Ursachen ansetzen. Dem einen oder anderen hat auch eine Entgiftungstherapie schon geholfen.
Zur allgemeinen Therapie s. auch Kap.Therapie von Multisystem-Erkrankungen.
Literatur
Reith, Sibylle: Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen, Tredition Verlag, 2021
1 Öceyler, N. et al., Small fibre pathology in patients with fibromyalgia syndrome. Brain, Vol. 136/6 (2013), S. 1857-1867.
2 Pall, Martin L., Ein neues Krankheitsparadigma liefert Erklärungen für eine ganze Gruppe von Erkrankungen. Verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/237234948.